Vorwort:
Es wird gesagt, dass jeder für seine Gesundheit selbstverantwortlich ist. Im täglichen Leben sollen wir Entscheidungen treffen, die sich positiv auf unsere Gesundheit auswirken s.g. health literacy. Wie kann man gesunde Entscheidungen für den Körper treffen, wenn einem das Geld dafür fehlt? Armut und Gesundheit schließen einander nicht kategorisch aus, allerdings steigt für Menschen, die in finanziell schwierigen Verhältnissen leben, das Risiko für Krankheiten. Im Klartext soll das heißen, dass wir meist nicht dieselben Grundvoraussetzungen haben, welche aber gerade beim Thema Gesundheit notwendig wären.
Mehr über die Gesundheit in Bezug auf SGB II Empfänger*in erzählt euch unsere heutige Gesprächspartnerin Frau Woock. Früher war Sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department Pflege & Management der HAW Hamburg. Mittlerweile arbeite Sie im Bereich Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsförderung im Kreis Pinneberg.
Interview:
Frau Woock, bei unserer Recherche, sind wir auf eine Studie des Robert Kochs Instituts gestoßen. Diese zeigt, dass Personen mit niedrigem Einkommen und Armutsrisiko, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, eine deutlich geringere Lebenserwartung haben.
Daher gehen wir der Annahme nach, dass die Gesundheit eines Menschen an deren Einkommen gebunden ist. Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, um die Lebenserwartung unabhängig vom Einkommen zu gestalten?
Frau Woock: Der sogenannte sozioökonomische Status wird in der Regel anhand dreier Indikatoren gemessen: Der Bildung, dem Einkommen und der beruflichen Position. Menschen mit einem hohen Einkommen haben häufig auch einen höheren Schul- oder Universitätsabschluss bzw. haben eine gute Ausbildung abgeschlossen. Sie haben eine gute berufliche Position, die mit einer gewissen Autonomie einhergeht. Umgekehrt fehlt Menschen mit einem niedrigen Einkommen nicht nur das Geld, um sich beispielsweise ein schönes Haus im Grünen zu leisten. Aufgrund einer vielleicht nur rudimentären Schulbildung fehlt ihnen die Kompetenz, sich Gesundheitsinformationen zuverlässig zu besorgen – die sogenannte health literacy -und ihre Arbeit ist körperlich belastend, repetitiv und bietet nur wenig Autonomie. Aus dieser Gesamtlage entstehen auch gesundheitliche Belastungen. Will man daran etwas ändern, muss man sehr früh ansetzen und schon Kindern die Möglichkeit geben, sich unabhängig von ihrer sozialen Herkunft bestmöglich zu entwickeln.
Haben arme Menschen somit ein höheres Risiko an Krankheiten zu erkranken als wohlhabende Menschen?
Frau Woock: Einen guten ersten Einblick bietet hier das Dashboard „Gesundheit in Deutschland aktuell“ des Robert-Koch-Instituts. Für verschiedene Indikatoren lässt sich hier schnell zeigen, ob eher Menschen mit niedriger, mittlerer oder hoher Bildung betroffen sind. Ein Beispiel: In der unteren Bildungsgruppe gibt es eine Diabetes-Prävalenz von 11,8%, d.h. dieser Anteil von Menschen war innerhalb eines definierten Zeitraums an Diabetes erkrankt. In der mittleren Bildungsgruppe gaben 9,3 % an, an Diabetes erkrankt zu sein, in der hohen Bildungsgruppe waren es 6,0 %. Das gleiche Muster finden wir u.a. bei koronaren Herzkrankheiten oder bei chronischer Bronchitis (COPD). Insofern: Ja, Menschen mit niedriger Bildung und einem niedrigen Einkommen haben ein höheres Risiko, zu erkranken.
Der SGB II Satz für Alleinerziehende im Jahr 2022 liegt bei 449 € pro Monat. Dafür sind 156€ für Nahrungsmittel angedacht und 17€ für die Gesundheitspflege. Reichen diese Sätze aus, um sich monatlich gesund zu halten?
Frau Woock: Tatsächlich bietet unser Gesundheitssystem auch Menschen mit einem niedrigen Einkommen bzw. Empfänger*innen von Grundsicherung eine gute Gesundheitsversorgung. Die meisten sind krankenversichert, die Belastungsgrenze für Zuzahlungen beträgt 2% der jährlichen Bruttoeinnahmen. Aber bereits eine Zahnzusatzversicherung wäre in Ihrem Beispiel außerhalb der finanziellen Möglichkeiten des Leistungsbeziehers. Und ob 156€ – gerade angesichts der aktuellen Inflation ausreichen, um gesunde und vielfältige Gerichte auf den Tisch zu bringen, lässt sich bezweifeln. Von gutem Biogemüse oder -fleisch ganz zu schweigen.
Gehen wir mal davon aus ich wäre arm und ich wäre krank geworden, mein Gesundheitspflegesatz für diesen Monat habe ich schon verbraucht. Gibt es eine Möglichkeit an kostenlose Medikamente zu kommen oder müsste ich unter meinen Symptomen leiden?
Frau Woock: Nein, Ihnen steht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung eine Behandlung durch Arzt oder im Notfall, das Krankenhaus zu. Die Zuzahlungen zu Medikamenten zahlen Sie nur bis zu dem Höchstsatz von 2% des Bruttoeinkommens jährlich. Es gibt Medikamente, die rezeptfrei erhältlich sind und von der Krankenkasse nicht erstattet werden, beispielsweise Erkältungsmedikamente. Auf diese müssten Sie dann verzichten.
Bekommen chronisch Kranke einen Zuschuss des SBG II Regelsatz?
Frau Woock: Zunächst ist die Belastungsgrenze, bezogen auf Zuzahlungen, für chronisch kranke Menschen noch niedriger und beträgt nur 1 % des jährlichen Bruttoeinkommens. Für Menschen mit Behinderungen wird ein Mehrbedarf anerkannt, d.h. diese bekommen einen erhöhten Regelsatz. Ist eine kostenaufwändige Ernährung notwendig, wird ebenfalls ein Mehrbedarf berücksichtigt.
Was sollte sich konkret in der Gesundheitspolitik ändern, um den Alltag von Menschen mit Armutsrisiko zu erleichtern?
Frau Woock: Ich denke, die Gesundheitspolitik sollte da nicht der alleinige Ansprechpartner sein. Bereits die im Jahre 1986 verabschiedete Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung proklamiert etwas, was heute als „health in all policies“ bekannt ist. Dabei geht es darum, Gesundheit – gewissermaßen als Querschnittthema – immer mitzudenken, in der Stadtplanung, in der Sozialpolitik, in der Verkehrsplanung, in der Bildungspolitik usw. Nur dann können die Verhältnisse dahingehend verändert werden, dass die Lebensumstände von Menschen sich einander mehr annähern.
Wie könnte man arme Familien unterstützen und den Kindern zu einem gesunden Lebensstil und Alltag verhelfen?
Frau Woock: Es ist sicher hilfreich, wenn Kinder eine Kita besuchen können, die finanziell und personell gut ausgestattet ist. Im Idealfall lernen sie dort schon etwas über gesunde Ernährung und Bewegung. Das muss in der Grundschule weitergehen. Sportvereine müssen erschwinglich sein und die Angebote in erster Linie Spaß machen. Grundsätzlich gilt auch hier, dass eine arme Familie nicht automatisch unfähig ist, ihre Kinder gesund aufzuziehen. Viele machen das ganz hervorragend. Sie haben es nur schwerer und hier können kommunale Angebote helfen.
Haben Sie einen Tipp für Betroffene, der hilft sich mit wenig Geld, auf Dauer gesund zu halten?
Frau Woock: Grundsätzlich kann ich empfehlen, die Leistungen des Gesundheitssystems vollumfänglich zu nutzen insbesondere die präventiven Vorsorgeuntersuchungen, Diagnostik und Therapie, Reha und Therapiebehandlungen. Darauf haben wir alle ein Anrecht.
Nachwort:
Unser Fazit der Recherche ist, dass für Menschen, die in finanziell schwierigen Verhältnissen leben, das Risiko für Krankheiten – aufgrund der Wohnverhältnisse, der Arbeit, der Ernährung, dem (falschen) Gesundheitsverhalten, steigt. Wir müssen es schaffen die Gesundheit als Grundrecht zu sehen. Diejenigen die weniger finanzielle Mittel zur Verfügung haben sollten Zuschüsse vom Staat bekommen. Suppenküchen könnten mit Geldern unterstützt werden und somit im Stande sein eine nährstoffreichere Ernährung anzubieten. Sportkurse müssen erschwinglich sein und Spaß machen, damit Kinder schon im jungen Alter gefallen am Sport finden. Auf lange Sicht könnte man SBG II Empfänger*innen wieder zur Arbeit verhelfen, da sie sich im Allgemeinen wohler und fitter fühlen würden. In allen Bereichen, in denen wir leben sollte an unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit gedacht werden. Gesundheit sollte ein Recht für alle Bürger*innen sein