“Armut kann krank machen, umgekehrt kann Krankheit aber auch arm machen” 

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In Deutschland leben 13,4 Millionen Menschen in Armut, das zeigt der Paritätische Armutsbericht von 2021. Damit erreicht die Armutsquote mit 16,1 %, einen neuen Höchststand. Zahlreiche Studien belegen, dass Armut auch einen großen Einfluss auf die Gesundheit hat. Kristina Woock ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Department Pflege und Management der HAW Hamburg und arbeitet hauptberuflich im Gesundheitsamt – wir haben sie gefragt, inwiefern Armut die Gesundheit beeinflussen kann. 

Von Elsa Rupprecht und Beverly Dreher 

Frau Woock, inwiefern sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit?  

Der Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit ist durch viele Studien belegt worden. Es wurde immer wieder festgestellt, dass Menschen, die einen schlechteren Zugang zu Bildung und einen niedrigeren sozioökonomischen Status haben auch häufiger krank sind. Der sozioökonomische Status definiert sich nach Bildung, Einkommen und der sozialen Position im Job. Die Krankheiten haben sich im Laufe der Zeit verändert, früher waren es Infektionskrankheiten, inzwischen sind es die sogenannten nicht übertragbaren Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Schlaganfälle.  

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptursachen dafür, dass Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status öfter krank sind?  

Klassisch würde man sagen, die Hauptursachen dafür sind das Gesundheitsverhalten, also wie ernährt man sich, wie oft bewegt man sich, wie gut baut man Stress ab. Aber dieses Gesundheitsverhalten kommt nicht von irgendwo her, sondern es hat einen Grund, nämlich die Rahmenbedingungen innerhalb derer man lebt: ob man beengter lebt, ob man nah an einer lauten Autobahn wohnt oder was für einen Job man hat; muss ich in der Sommerhitze ein Dach decken oder sitze ich im Büro und gehe nach Feierabend noch Joggen. Die einzelnen Ursachen warum Menschen zu bestimmten Lebensmitteln greifen oder bestimmten Sportarten nachgehen sind in der Regel sehr komplex. 

Es gibt bekannte Risikofaktoren für (chronische) Krankheiten, wie Rauchen, Bewegungsmangel oder Alkohol. Sind diese bei in Armut lebenden Menschen häufiger vertreten? 

Es gibt die sogenannte GEDA Studie (“Gesundheit in Deutschland aktuell”), dort kann man sehr genau nach verschiedenen Indikatoren gucken, wie z.B. das Alkoholverhalten oder der Tabakkonsum von Menschen ist, und das ist dann jeweils nach Bildungsgraden differenziert. Da ist es so, dass Menschen mit einem hohen Bildungsgrad häufiger Alkohol trinken und auch häufiger ein riskantes Alkoholverhalten haben. Man kann also nicht immer sagen, die armen Leute machen immer alles falsch und die Reichen wissen, wie es geht. Beim Rauchen ist es dann eher so, wie man es erwarten würde: Menschen mit einem niedrigen Bildungsgrad rauchen häufiger. Bei Bewegung ist es sehr abhängig davon, was man als Bewegung definiert. Ausgewogene Sportarten, mit denen man den ganzen Körper trainiert, werden wahrscheinlich häufiger von Menschen mit einem hohen Bildungsgrad ausgeübt, während Menschen mit niedrigem Bildungsgrad häufiger aufgrund ihrer Arbeit eine Menge Bewegung haben.  

Bei fast allen Risikofaktoren würde ich unterschreiben, dass diese bei Menschen, die einen niedrigeren Bildungsgrad haben auch häufiger vorkommt, beim Trinken nicht.  

Suchen in Armut lebende Menschen weniger oft einen Arzt/eine Ärztin auf? Wenn ja, was können Gründe dafür sein? 

Auch das zeigt die GEDA Studie sehr gut: Menschen mit einem niedrigen Bildungsgrad gehen häufiger zum Hausarzt/-ärztin, bei Fachärzten/-ärztinnen ist das genau umgekehrt. Offenbar haben Menschen mit einem niedrigen Bildungsgrad erstmal Vertrauen zu ihrem Hausarzt/-ärztin, das ist oft der einfachere Zugang. Die Fachärzte/-ärztinnen werden eher von Menschen mit einem höheren Bildungsgrad aufgesucht und das gilt beispielsweise auch für Zahnärzte/-ärztinnen. Der Zahnstatus ist ohnehin ein sehr guter Indikator dafür, ob Menschen Geld haben oder nicht, weil man oft sehr viel zuzahlen muss, um Zähne zu ersetzen oder ähnliches. 

Für viele Patientinnen und Patienten ist die Zuzahlung oder das Kaufen von Medikamenten zu teuer. Inwiefern verstärkt das noch den Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit? Kann das eine Ursache für die erhöhte Krankheitsrate bei in Armut lebenden Personen sein?  

Unser Gesundheitssystem ist eigentlich so aufgestellt, dass Menschen, die chronisch krank sind, also die einen hohen Bedarf an Medikamenten haben, sich ihre Zuzahlung auf 2% des Bruttoeinkommens im Jahr deckeln lassen können. Und ja, Armut kann krank machen und umgekehrt kann Krankheit aber auch arm machen. Wenn ich aufgrund einer körperlichen Einschränkung nicht arbeiten kann oder nicht jede Arbeit ausüben kann, vielleicht nur in Teilzeit arbeiten kann – da ist durchaus ein Zusammenhang. Das deutsche Gesundheitssystem ist eigentlich aber so aufgestellt, dass die Menschen nicht ihr Haus und Hof verkaufen müssen für Medikamente. Allerdings kann es gut sein, dass bestimmte Informationen nicht bei jedem bekannt sind, schon allein aufgrund von Sprachbarrieren.  

Sind Personen, die in Armut leben, häufiger von psychischen Krankheiten betroffen?  

Laut der GEDA-Studie ist das beispielsweise bei Depressionen so, dass diese häufiger auftreten. Aber das ist nicht mein Fachbereich deswegen kann ich dazu leider nicht mehr sagen. 

Laut Daten des Sozio­ökonomischen Panels (SOEP) liegt die mittlere Lebenserwartung bei Frauen aus der Armutsrisikogruppe rund acht Jahre, und bei Männern rund elf Jahre unter dem von Personen aus hoher Einkommensgruppe. Woran könnte das liegen? 

Ja, das ist eine wahnsinnig große Kluft. Man muss natürlich sagen, wir reden hier von Frauen und Männern aus der untersten Einkommensgruppe und Männer oder Frauen aus der höchsten Einkommensgruppe. Es gibt noch eine breite Mitte, wo Lebensstilfaktoren eine Rolle spielen. Viele Menschen in Deutschland sterben mittlerweile an diesen sogenannten „nicht übertragbaren Krankheiten“ und nicht an Infektionskrankheiten. Und wie ich bereits erwähnte, treten genau diese Erkrankungen sehr viel häufiger bei Menschen mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status auf. Da zeigt sich dann auch schon, wo die Schere anfängt, auseinander zu gehen. 

Das heißt, die Hauptursache für die kürzere Lebenserwartung sind vor allem diese „nicht übertragbaren Infektionskrankheiten“? 

Ja. Ein weiterer Grund könnte sein, dass Menschen, die keinen so hohen Bildungsgrad haben, auch häufiger in eher riskanten Berufen arbeiten als Menschen, die ihr Leben lang nicht hinter dem Schreibtisch hervorkommen. Somit erleiden diese dann auch leichter Mal einen Unfall, welcher dann möglicherweise entweder gleich zum Tod oder eben in der Folge irgendwann führen könnte.  

Ist durch die Corona-Pandemie ein Trend in Bezug auf die gesundheitliche Ungleichheit zu erkennen?  

Was die Corona Pandemie bewirkt hat war, dass sie vieles ans Tageslicht gebracht hat, was vorher schon in Fachkreisen bekannt war, sodass die Menschen anfingen zu sagen „Wieso haben eigentlich die Leute in bestimmten Stadtteilen eine viel höhere Inzidenz als, beispielsweise auf Hamburg bezogen, in Blankenese?“ Das wiederum hat dazu geführt, dass jetzt auch vermehrt über diese Ungleichheit diskutiert wird.  

Finden Sie, dass die Politik sich genug mit der gesundheitlichen Ungleichheit in Deutschland befasst?  

Es könnte immer mehr sein. Also, es hat sich sicherlich schon einiges verbessert. Es ist ein Aspekt geworden, der mehr in den Vordergrund gerückt ist. Aber da ist auf jeden Fall noch viel Luft nach oben. 

In welchem Bereich würden Sie, wenn Sie könnten, ansetzen und etwas ändern? 

Da gibt es einige Bereiche, angefangen bei der Gesundheitsversorgung. Ich finde unser Gesundheitssystem in Deutschland ganz okay. Es ist eigentlich auch so, dass die meisten Menschen die Versorgung erhalten, die sie brauchen.  
Es ist aber so, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen einen Sicherstellungsauftrag haben und dafür sorgen sollen, dass die einzelnen Regionen Deutschlands gleichmäßig mit kassenärztlichen Sitzen bestückt sind, dass es also überall Ärzte und Ärztinnen gibt. Ich glaube, da ist noch Luft nach oben und es wird meines Erachtens nicht genügend kontrolliert, dass sich eben gerade Fachärzte/ -ärztinnen auch in Problemvierteln weiter ansiedeln, das wäre wünschenswert.  
Das Zweite ist, dass man mehr Angebote für Menschen mit wenig Deutschkenntnissen benötigt. Wir haben einen relativ hohen Anteil an Bürgerinnen und Bürgern mit wenig Deutschkenntnissen und man muss dafür sorgen, dass die vorhandenen Informationen und Angebote wirklich an alle gehen und von allen genutzt werden können.  

Oft wird Menschen, die wenig Geld zur Verfügung haben, vorgeworfen, sie würden sich nicht gesund ernähren. Was sagen Sie dazu? 

Man sagt gerne, man muss sich gesund ernähren und viel Gemüse, Obst, Vollkorn und so weiter essen. Gerade jetzt, in Zeiten der steigenden Inflation und der steigenden Preise, müssen wir uns allerdings bewusst machen, was wie viel kostet. Wenn ein Paket Toastbrot gerade mal 59 Cent kostet und das gute Brot vom Biobäcker locker mal 6€ kostet, dann muss man sich das erstmal leisten können! Natürlich weiß man unter ernährungsphysiologischen Gesichtspunkten, dass das pappige Toastbrot nicht besonders gesund ist. Wenn eine Familie aber wenig Geld hat, dann kriegt sie die Kinder damit erstmal ein paar Tage satt. Gerade, wenn die Preise so extrem steigen und viele Menschen an ihre finanziellen Grenzen geraten, ist das ein wichtiger Faktor und es ist schwierig mit dem Finger auf Leute zu zeigen.