Kein Einzelfall: Menschen in Altersarmut

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Laut dem Bundesseniorenministerium ist in Deutschland jeder fünfte Mensch über 80 Jahren von Armut betroffen. Um die Thematik besser kennenzulernen, haben wir mit Susanne Fink-Knodel gesprochen. Sie hat Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt auf Arbeit mit älteren Menschen studiert. Seit einem Jahr arbeitet sie jetzt im Nachbarschaftsheim St. Pauli e.V.. Das Nachbarschaftsheim ist ein Seniorentagestreff und hat unter der Woche täglich geöffnet. Es bietet die Möglichkeit zur sozialen Teilhabe, in dem man zum Beispiel zusammen isst. 

Auch bei persönlichen Anliegen und bürokratischen Herausforderungen bekommen die Besucher*innen Unterstützung. Susannes Aufgaben sind, wie sie selbst sagt, eine „wilde Mischung“. Zum einen kümmert sie sich um geschäftsführende Angelegenheiten. Zum anderen muss sie aber auch vor Ort sein. Zum Beispiel: beim offenen Treff, oder bei der Verteilung der Tafel. Aber auch inhaltliche Aufgaben wie die Konzeption und Planung von neuen Projekten gehören zu ihrer Arbeit. Das Nachbarschaftsheim wird dieses Jahr 70 Jahre alt.

Wie werden die Betroffenen auf euch aufmerksam? 

Das passiert durch ein bisschen Mund-zu-Mund-Werbung, aber auch über Beratungen, die wir anbieten. Viele wissen von der Einrichtung, weil sie schon so lange im Stadtteil bekannt ist. Einige Besucher*innen kommen auch beispielsweise über die Kirchengemeinde und über Pflegedienste zu uns. Aber es gibt auch Anfragen von Angehörigen der Betroffenen oder es ist zum Beispiel in der Nähe ein Service Wohnen von der SAGA. Wenn unsere Besucher*innen, die auch dort wohnen oder dort jemanden kennen, merken, da ist jemand vielleicht sehr einsam, dann wird auf uns aufmerksam gemacht, nach dem Motto komm doch mal mit. Leider haben wir noch eine Lücke in unserer Öffentlichkeitsarbeit, die gefüllt werden sollte, zum Beispiel haben wir noch keine Webseite.

Euer Verein erhält Spenden. Wie finanziert sich eure Arbeit?

Angestellt bin ich bei einem kleinen Verein, also ist der ehrenamtliche Vorstand mein Vorgesetzter. Darüber hinaus sind wir zuwendungsfinanziert vom Bezirksamt Mitte, also die Gehälter für meine Kollegin und mich kommen direkt vom Bezirksamt. Die meisten Spenden, die wir erhalten sind Sachspenden wie Essen oder Drogerieartikel.

Gibt es speziell in St.Pauli besondere Problematiken, die in Bezug auf Altersarmut eine wichtige Rolle spielen?

St. Pauli ist insofern schwierig, als dass seit längerer Zeit diese Gentrifizierung eingesetzt hat und ältere Menschen ganz schwierig eine neue Wohnung finden. Ältere Menschen haben ja mit der Zeit auch ganz andere Bedürfnisse, zum Beispiel wenn die Wohnung zu groß wird und sie Unterstützungsbedarf haben. Da wäre zum Beispiel Service Wohnen oder ein Pflegeheim die bessere Option, aber es ist vor Ort mit unter unmöglich, da irgendwas zu finden und die Menschen müssen wegziehen. 

Man könnte tendenziell schon sagen, dass Frauen im Alter häufiger von Armut betroffen sind, da sie oft in ihrem Leben weniger verdient haben und dadurch eine geringere Rente haben. Merkst du das bei euch im Treff auch, dass zum Beispiel mehr Frauen da sind. Oder könnte man das auch darauf zurückführen, dass Frauen sich vielleicht eher Hilfe holen in so einer Situation?

Ja wir haben einen großen Frauenüberhang, das merkt man. Frauen sind eher in Selbsthilfegruppen oder in solchen Anlaufstellen vertreten. Es sind auch nur ungefähr 10 % der gesamten Besucher*innen Männer und da versuchen wir gerade mit einer Männergruppe gegenzusteuern. Wir gehen davon aus, dass die Altersarmut, und auch die Einsamkeit bei Frauen groß ist, aber die bei Männern nicht wesentlich kleiner ist. Also es ist für einen Mann genauso schwierig mit der Grundsicherung auszukommen, wie für eine Frau. 

Natürlich wenn man die Prozentzahlen sieht, dann verdienen Männer im Verhältnis mehr und auch die Rente ist dann etwas höher. Tatsächlich bekommen viele zusätzlich Grundsicherung, weil die Rente egal ob Mann oder Frau nicht reicht. Insofern haben wir auch bei den Männern, die uns besuchen, die gleichen Probleme.

Und dann ist da auch die Gruppe der Migrantinnen, also der Gastarbeiterinnen Generation, da ist es auch so, dass einige mit sehr geringer Bildung hierhergekommen sind oder zum Teil gar keine Schulbildung haben. Damals gab es auch keine Deutschkurse oder Integrationskurse, so dass sie sich in ihrer Anfangszeit quasi selbst überlassen wurden. Das hat natürlich dazu geführt, dass sie auch zusätzlich zu ihrer Rente einfach Grundsicherung brauchen und mit dieser, besonders im Alter gar nicht auskommen. Da viele von diesen Frauen wenig bis kein Deutsch sprechen, ist meine Kollegin auch besonders wichtig für den Treffpunkt, denn sie kann türkisch und kurdisch. Das hilft enorm bei der Verständigung.

Ihr werdet ja unter anderem auch von der Tafel mit Lebensmitteln beliefert. Welche Rolle spielt die Ernährung und auch die Gesundheit, beim Thema Altersarmut?

Sowas wie gesundes Essen ist nicht zu finanzieren mit einer Grundsicherung. Auch Medikamente, die vielleicht ein bisschen teurer sind, die kann man nicht bezahlen. Man ist dann darauf angewiesen, nur das zu bekommen, was eben über die Krankenkasse finanziert ist, egal ob der Arzt/die Ärztin vielleicht etwas anderes raten würde. Das kann man dann einfach darüber nicht bestreiten. Wir beobachten auch, dass sehr viele zum Beispiel unter Diabetes und Übergewicht leiden und da wäre gesunde Ernährung und ein Gesundheitsbewusstsein besonders wichtig. Dieses Leben unter Dauerdiskriminierung ist einfach auch sehr stressvoll und hinterlässt auch Spuren, gerade im Alter.

Was bietet ihr den Menschen, die zu euch kommen, wozu sie sonst aufgrund ihrer Situation nie die Möglichkeit hätten?

Wir haben ein Grundprogramm, also diesen offenen Treff, wo eben die Möglichkeit besteht für 50 Cent am Nachmittag Kaffee oder Tee zu trinken. Meistens gibt es durch die Spenden, die wir bekommen, auch noch irgendwas zu essen, zum Beispiel durch den Bäcker, der uns beliefert oder über die Tafel. Das ist schon schön, dass wir dann auch ein Stück Kuchen dazu verteilen können. Wir möchten erstmal so eine Basis bieten, sich am Nachmittag auszutauschen, sich zu treffen und auch mit kleineren Anliegen zu uns zu kommen, zum Beispiel wenn mal mit dem Handy was nicht klappt. Die mögen auch sehr gerne so Spiele wie „Mensch Ärger dich nicht“ oder „Rummikub“. Die Männergruppe will jetzt mal mit Schach anfangen, wir haben Boule für draußen und dann versuchen wir sowas, wie einen PC-Kurs anzubieten, wo wir dann helfen, wenn digitale Fragen da sind.

Wir haben auch Bewegungsangebote die kostenfrei sind, also Qi Gong und Gymnastik und wir bieten an zwei Tagen in der Woche einen Mittagstisch an. Dort haben die Leute die Möglichkeit, eine gemeinsame Mahlzeit einzunehmen, die frisch gekocht und gesund ist. Es riecht dann eben gut und man sitzt mit den anderen am Tisch. Das haben viele im Alter, gerade wenn sie alleine leben, gar nicht mehr. Vor allem Menschen, die in Altersarmut leben haben auch nicht unbedingt die finanziellen Mittel, um Gäste einzuladen. Auch Restaurantbesuche sind für diese Menschen eigentlich nicht möglich. Sowas wie Kulturangebote mit Museumsbesuchen oder ähnlichem, da habe ich letztens einen Versuch gestartet, aber das ist schon echt schwierig mit großen Gruppen, da müsste man nochmal dran arbeiten, das gut zu koordinieren.

Ihr unterstützt die Menschen auch bei der Bürokratie. Wobei wird am häufigsten Unterstützung benötigt, wenn es um den Papierkram geht?

Also wir helfen tatsächlich hauptsächlich dadurch, dass wir ja diese Übersetzung haben, türkisch und kurdisch, das ist sehr, sehr wichtig für die Institution. Selbst nach vielen, vielen Jahren in Deutschland sind Behördenbriefe nur sehr schwer zu verstehen und zu lesen. Ich muss zugeben, wenn ich so einen Bescheid vom Jobcenter bekomme und ich versuche das nachzuvollziehen und nachzurechnen, dann brauche ich auch absolute Ruhe und erst mal eine Stunde Konzentration, bis ich das verstanden habe. Das empfinde ich als eine Zumutung für Menschen, die nicht studiert haben, weil sich auch oft Inhalte widersprechen und das ja sogar schon für deutsche Muttersprachler schwierig zu verstehen ist. 

Oft helfen wir auch dabei Arztbriefe zu lesen und zu verstehen, weil das natürlich auch besonders wichtig ist, wenn es um die Gesundheit geht.

Während der Corona-Zeit und den Kontaktbeschränkungen mussten wir uns alle isolieren, wie war das bei euch?

Die Einsamkeit hat zugenommen. Es gab auch Besucher*innen, die gesagt haben, wenn ihr nicht da seid oder geschlossen habt, dann rauchen sie zu viel, oder dann haben sie eben diesen Ausgleich nicht. Auch die Struktur fehlt — gerade für die Menschen bei uns, die an Demenz leiden, ist so ein Bruch ganz schwierig zu verkraften. Wir haben natürlich auch mit den Corona Maßnahmen gekämpft. Es war vor Corona ganz anders. Da waren tatsächlich um die 50 Besucher*innen da, das war unglaublich voll und turbulent und das ist aktuell natürlich durch Corona gar nicht mehr möglich gewesen. Wir hatten in diesen Räumlichkeiten viel weniger Menschen, weil das mit dem Lüften schwierig war. Jetzt wollen wir wieder anfangen unterwegs zu sein und Angebote zu machen.

Die Inflation und die steigenden Kosten belasten Menschen mit wenig Geld besonders stark. Im April 2022 lag die Inflationsrate bei +7,4 Prozent. Spürt ihr schon diese starke Inflation und den Krieg, der gerade in Europa herrscht?

Ja, natürlich. Die Hamburger Tafel beliefert uns mit Lebensmitteln oder auch andere Dingen. Jetzt ist es so, dass alles was vorher schon da war, noch verschärft worden ist.

(D.h. es beziehen jetzt viel mehr Leute wie Flüchtende oder Menschen, die vorher gerade so über die Runden gekommen sind von der Tafel. Die Tafel hat aber nicht mehr zu verteilen als vorher, weshalb die Waren knapp werden.) - Autorenanmerkung

Wenn aktuell auch noch sowas, wie Krieg und damit verbundene Erinnerungen auf einen einprasseln, dann ist das unglaublich schwierig auszuhalten, gerade wenn man alleine wohnt und wenig sozialen Kontakt hat. Diese Kriegserlebnisse zu haben und dann zusätzlich zu dieser Einsamkeit vielleicht das Gefühl zu bekommen man ist doch nicht so sicher wie man dachte, das schlägt natürlich auch auf die psychische Gesundheit.

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